Männertheologischer Predigtpreis 2018

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Männerarbeit der Evangelischen Kirche Deutschlands

 

„Das Gute behaltet (1 Thess 5,21) – Beweglich. Bleiben.“

 

Mein Freund Gerhard schimpft über seine Arbeit, er sei total überlastet, sagt er. Und seine Familie sei ihm auch eine große Belastung, sie fordere nur und er müsse immer nur liefern. Überhaupt sei alles Sch …, jammert er mich an. Und ich frage ihn ganz spontan: „Gibt es denn nichts, das dir Freude bereitet?“ Er schaut mich an und sagt: „Danke, dass du mir zuhörst, danke, dass du für mich da bist. Danke, dass ich bei dir so sein darf, wie ich bin und auch mal die Sau rauslassen darf.“

Diesen Satz nehme ich mit nach Hause. Er baut mich richtig auf. Seine unreflektierte Unzufriedenheit würde mich hinunterziehen, würde mir die Freude nehmen, würde mich lähmen, aber sein Satz: „Danke, dass du für mich da bist!“, macht mir richtig Mut, gibt mir Kraft und zeigt mir wieder einmal, dass mein Leben Sinn macht.

Es gibt eine psychologische Methode, die genau diesen Aspekt der Selektion des Guten im Blick hat. Sie lautet: „Suche drei gute Gründe für das Verhalten eines Menschen, der dir auf die Nerven geht.“ Wenn ich mir meinen Freund Gerhard so anschaue, dann sehe ich, dass er sich nach Ruhe und Erholung, nach einer gesunden Work-Life-Balance sehnt. Das ist doch ein guter Grund für sein Lamentieren. Außerdem grenzt er sich von der Überforderung durch seine Familie ab, ihm ist bewusst, dass er oft als „Melkkuh“ dasteht und auch in dieser Hinsicht um Ausgleich in den engsten Beziehungswelten ringt. Einen dritten guten Grund für sein Klagen finde ich darin, dass er offen ist, für einen Ausweg, dass er sich auf eine Neuorientierung einlässt, dass er beweglich bleibt für einen Perspektivenwechsel, dass er sozusagen die kleine Blume „Freundschaft“ in der Ritze des Betons seines Frustes wahrnehmen und schätzen kann.

Ähnlich formuliert es der Apostel Paulus in einem der ältesten Texte des Neuen Testaments, im Ersten Brief an die Thessalonicher, wo es heißt: „Das Gute behaltet!“ (5,21) Mit dem griechischen Wort „kalós“ für „gut“ ist auch das Schöne gemeint, es wird die Welt retten, hat Dostojewski sinngemäß in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“ geschrieben. Das Schöne, das Harmonische, das Anmutige, das Gute: Es wird durch die Liebe besonders reizvoll und anziehend. Das gilt für Aufmerksamkeiten, die wir unseren Frauen schenken gleichermaßen wie für alles, was uns tagtäglich widerfährt. Wir sind die Interpreten der Wirklichkeit, wir stiften Wirklichkeit durch die Art und Weise, wie wir auf unser Leben schauen.

Viele von uns sind es gewohnt, das Böse und Negative, das sich offenkundig gut vermarkten lässt, zu meditieren: Egal ob es sich dabei um politische Ereignisse, wie zum Beispiel die Völkerwanderung aus dem Osten und Süden nach Europa, um die gesellschaftlichen Umstellungen unter den Geschlechtern, die sich ständig wandelnde Rollenverteilung im Leben eines Mannes, um weltumfassende und wirtschaftliche Veränderungen oder ganz einfach um Nachrichten aus unserer unmittelbarsten Umgebung handelt: Viele neigen dazu, gerade das Schlechte zu behalten und weiterzutragen. Damit bürden sie sich eine Last auf, die gar nicht die ihrige ist.

Doch unsere Bestimmung als Männer besteht letztlich darin, gerne und fröhlich zu leben. Wenn Männer aber nur die spektakulären Negativ-Botschaften weitergeben, sorgen sie zwar für Aufregung und Interesse, aber was bleibt? Oft ist es gähnende Leere, Traurigkeit, Angst und Unsicherheit. Ein Schatten legt sich über ihr Gemüt und die Situation ist nachher nicht viel besser als vorher. Sie zementieren sich in einem kleinen und unbeweglichen Weltbild ein, sie ziehen sich darin zurück, sie versagen sich die Chance auf einen Neuanfang, sie kommen aus der Spirale des Negativen nicht mehr so einfach heraus.

Wenn wir aber das Gute (und Schöne) behalten und uns dies dankbar bewusst machen, gehen wir anders an die Situation heran, nähren wir die Hoffnung in unseren Männerherzen und geben dem Leben um uns Verlass. In gewisser Weise leben wir dann in der Haltung der „Waycation“ – einer gesunden sprachspielerischen Mischung aus „way“ für „Weg“, der für Beweglichkeit und Veränderungsbereitschaft steht und „vacation“, also Urlaub, Pause, welche in uns das Schöne, Ruhige, Meditative, Erholsame, Bleibende, Gute und Fröhliche zum Vorschein bringt.

Auch der Völkerapostel Paulus war in der jungen und stets wachsenden, internationalen Metropole und Hafenstadt Thessalonich vor große Herausforderungen gestellt. Er musste den Christengemeinden Mut machen und Orientierung bieten. Wie sollten sie mit den unterschiedlichen Moralvorstellungen der Menschen aus vielen Ländern umgehen lernen? Wie begegnet man beispielsweise einem Fremden oder einem Sklavenhändler? Darf man denn das Haus eines Nichtjuden bzw. Nichtchristen betreten? Paulus rät zur mutigen Aufgeschlossenheit: „Anno autem primo oculus“, weiß der Lateiner. - Das erste Jahr dem Auge, was soviel bedeutet, wie: Schaut euch erstmal um und dann behaltet das Gute, nehmt das Gute mit, meditiert es in Dankbarkeit und handelt dementsprechend.

Aus meinem Gespräch mit Gerhard nehme ich an Gutem mit, dass er immerhin eine Arbeit hat, das ist in Zeiten von wachsenden, unbefristeten Arbeitsverträgen, unverbindlicher Leiharbeit und Arbeitslosigkeit ein Privileg. Außerdem ist er nicht alleine, er lebt in einer Familie, die ihn u.a. als Ernährer braucht, die ihn fordert und herausfordert, für sie da zu sein. Und er hat einen Freund, er schätzt ihn und das baut mich auf und lässt mich hoffnungsvoll meinen Weg als Mann weitergehen.

 

Christian Kuster, im August 2018

 


 

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