Einführung zum Interview mit Christian Kuster

 

Die Welt ist voller Fragen, die wenigsten davon lassen sich befriedigend beantworten. Oft reicht auch die Gesprächszeit nicht aus, um der Sache gebührlich auf den Grund zu gehen. Und so habe ich versucht, auf viele - an mich gerichteten - Fragen eine Ant-WORT zum Nachdenken und Nachleben zu geben ...

 

Was hat der hl. Martin den Männern von heute zu sagen?

Foto: Christian Kuster in St. Martin/Happing bei Rosenheim

Heilige stellen uns gelebtes Evangelium vor Augen, sie machen Gottes Wort konkret erfahrbar und stellen es - allen sicht- und lesbar - in die Welt. Martin, was so viel bedeutet, wie "der dem Kriegsgott Mars Geweihte", soll Soldat werden. Sein römischer Vater besteht darauf, dass er denselben Weg wie er einschlägt. Martin jedoch zieht es in die Einsiedelei und er sehnt sich nach der Taufe. Trotzdem tritt er in die Fußstapfen seines Vaters. Als er einem Bettler begegnet, folgt er endlich dem Ruf seines Herzens, riskiert eine Arreststrafe wegen Zerstörung des Militäreigentums und teilt seinen Mantel mit dem Armen.

Martin schaut auf sich, er überfordert sich nicht, er brennt nicht aus und er hat dennoch den Hilfsbedürftigen im Blick, dem er mit viel Mitgefühl und Großherzigkeit begegnet. Er benützt sein Schwert, Symbol für seine Macht, nicht zum Töten und Vernichten, sondern zum Teilen. Männer in Machtpositionen, die andere übersehen oder ausbeuten, gibt es genug. Wir brauchen heute Männer, die sich lautstark und tatkräftig für Schwächere verwenden.

In Pannonien tauft Martin schließlich als Christ seine Mutter, den arianischen Bischöfen ist er ein Dorn im Auge, sie vertreiben ihn. Martin ist enttäuscht und frustriert, aber er bleibt nicht am Boden liegen, er steht wieder auf und tut endlich das, was ihm Spaß macht. Wir Männer können aus Misserfolgen lernen, wir können an ihnen wachsen und reifen und wir können aus ihnen gute Frucht bringen.

Martin liebt die Einsamkeit, er lebt auf der Insel Gallinara als Einsiedler in Stille und Entbehrung. In einer lauten, hektischen und schrillen Zeit täten uns Männern Ruhe und eine gewisse absichtslose "Faulheit" und Einsamkeit bestimmt sehr gut. Aus der Stille heraus entstehen große Dinge. Martin gründet ein Kloster, das erste Kloster Galliens. Es ist ein Zentrum der Kultur, der Wissenschaft, der Spiritualität. Man könnte sagen: Martin glaubt nicht nur mit dem Herzen und mit der Hand, sondern auch mit dem Kopf. Hier sehe ich - gerade für frömmelnde Christen - großen Handlungsbedarf. "Aude sapere" - wird Immanuel Kant im 18. Jahrhundert sagen. - "Wage zu denken! - Bedien dich deiner Vernunft!"

Dann wird Martin gegen seinen Willen Bischof von Tours. Er reißt sich nicht um das Amt, er braucht Ansehen und Einfluss nicht, gerade deshalb wird ihm das Bischofsamt, welches ja ein Dienstamt ist, gegegeben. Dreißig Jahre lang ist er ein großzügiger Bischof, er versteht es offenkundig Menschen zu führen und zu leiten und sie dennoch nicht zu bevormunden oder von sich abhängig zu machen.

Martin wird mit der Mitra, der Bischofsmütze, dargestellt. Sie gleicht einem Fisch. Martin ist ein Fischer, ein Menschenfischer, er verbreitet den christlichen Glauben, er leistet Überzeugungsarbeit. Der Stab des Bischofs symbolisiert seine Fähigkeit zu führen und zu leiten. Das bedeutet, sich zurückzunehmen, zu hören und gegebenenfalls zu loben und zu tadeln, aber all das in großer Liebe zu den Menschen. Das Evangelium in seiner Hand ist die Mitte seines Lebens. Alles kreist um das Evangelium, um Gottes Wort, das es zu lesen, zu leben und zu verkünden gilt. "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan", sagt Jesus als Weltenrichter in der endzeitlichen Predigt von Matthäus. Martin weiß, dass Christus nicht abstrakt und ferne von uns lebt, er ist mitten unter uns, er ist da, wo unsere Aufmerksamkeit, unser Interesse und unsere Hilfsbereitschaft gefordert sind. In einer egoistischen, verschwenderischen, kapitalistischen und gleich-gültigen Welt bekommen diese Werte eine sehr große, aktuelle Bedeutung.

 

Wie leben Männer sinnvoll in dieser Welt?

Foto: Christian Kuster

Die Sinnfrage ist religiöser Natur. Diese Frage ist wie ein Weg, den ich als Mann gehen muss. Sie ist eine Suche, ein Aufbrechen, sie ist mit vielen Niederlagen und auch Erfolgen gezeichnet. Sinn macht, was ist, was ich annehme, auch wenn es schwierig ist und hart. Ich kann auf vielerlei Weise Sinn finden: im Sex, im Genuss, im Konsum, im Erfolg, in der Arbeit, im Sport, in der Familie, im Reisen, im Drogenrausch ...

Was ist sinnlos? Was ist unnütz? All das, was die Freude trübt, was das Leben hemmt, was die Gemeinschaft und die Liebe zerstört? Ich denke, dass jeder Mann herausfinden muss, was ihm Sinn bereitet, was sein Leben erfüllen und ausmachen soll. Für mich persönlich ist es das Leben im Augenblick, die Annahme dessen, was ist, auch wenn es manchmal unangenehm und schmerzvoll sein mag. Ich wachse über meine Gebrechen hinaus, wenn ich mich nicht mehr dagegen wehre, wenn ich bei mir bleibe, wenn ich mich und meine Umstände aushalte, wenn es mir gelingt, jedem Tag ein heiteres Lächeln der Freude und der Dankbarkeit abzuringen. Sinn ist für mich verbunden mit Arbeit, die mich erfüllt, mit Skripten, die ich für meine Schüler und Männer verfasse und dann in die Tat umsetze, mit Sport, der mich aufbaut, mit Fotos, die ich schieße, mit Landschften, die ich mit meinem Fahrrad erkunde, mit Büchern, die ich schreibe, mit Freundschaften, die ich pflege, mit Zeit, die ich für andere Menschen verwende ... Sinn ist auch das, was ich nachträglich in meine Tagesreflexion als Lernprozess einbauen kann.

Und nicht zuletzt macht es für mich Sinn, mein Leben auf ein großes Du hin zu lenken, von dem ich komme und auf das ich zugehe ...

 

Was ist männliche Spiritualität?

 

Foto: Pixabay

Ich würde es heute so umschreiben. Du stehst vor einem tiefen Abgrund und ringst mit einer Entscheidung: Wie geht es jetzt weiter? Wenn du jung bist, kannst du einen langen, schweren Balken über die Schlucht legen, das wäre die einfachste Lösung, wenn es klappt. Das wäre sozusagen eine Abkürzung. Du kannst auch versuchen drüber zu springen, dies könnte sehr gefährlich werden. P. Richard Rohr hat uns Männer im Sommer 2000 in Reggello im Casa Cares-Waldenserhaus eindringlich gewarnt: „Don’t push the river! Don’t jumb the tower! – Schieb den Fluss nicht an, spring nicht vom Turm …“ Und so scheint die Entscheidung dafür, den Abgrund hinunterzusteigen, bis in die tiefsten Tiefen deiner männlichen Seele, die vernünftigste zu sein. Das ist vor allem die Seelenarbeit in der zweiten Lebenshälfte eines Mannes. Und dann gehst du wieder herauf und nach dem Abenteuer bist du ein anderer, als du es zuvor gewesen bist. Du hast symbolisch deinen Abgrund, deine Ohnmacht ausgelotet, bist vor ihnen nicht davongelaufen, hast dich ihnen gestellt, bist daran gereift und wieder aufgestiegen. Du warst unten, du warst dort. Diese Erfahrung ist wichtig und sie wird in allen Kulturen den männlichen Pubertierenden in Form von Initiationsriten weitergegeben. In der männlichen Spiritualität geht es immer um diese Urerfahrungen von Ohnmacht, Scheitern, Los-Lassen, von Tod und von Auferstehung, von Einsamkeit und Gemeinschaft, von Reifung und Selbst-Werdung. Das schönste Wort für männliche Spiritualität ist für mich in dem lateinischen Begriff Transformation wiedergegeben, das heißt Wandlung, Verwandlung. Ich nehme mein Leben so an wie es ist, ich beschönige es nicht, ich trete meinen Schmerz nicht an andere weiter, ich beschönige ihn nicht, ich ignoriere ihn nicht. Ich reife vielmehr daran, ich lasse es zu, dass sich meine Trauer in Freude, in Vitalität, von der auch andere profitieren, verwandelt. Das ist die Umschreibung dessen, was die Bibel mit "Buße" bezeichnet. Ich kehre immer wieder neu um. Dann lebe ich mein Leben verborgen und fruchtbar in Gott, mit dem ich täglich neu beginnen darf.

 

Wie würden Sie Ihre Männerbücher kurz zusammenfassen und wo liegen deren Grenzen?

Foto: Christian Kuster

Es geht immer um das gelingende Leben, um Versöhnung, um Neuanfang, um das Weitermachen, darum, dass wir echte Kerle werden, wenn wir es nicht schon längst sind.

Ich weiß, der Vergleich hinkt, aber er hat was: Österreichische Fußballfans kennen den Spruch: „Egal, wie wir spielen, am Ende gewinnt immer Deutschland.“ Diese Erfahrung hat sich in den letzten Jahrzehnten deutsch-österreichischer Fußballverbundenheit bis auf wenige Ausnahmen immer wieder bestätigt. Übertragen auf das geistliche Leben des Mannes könnte man sagen: „Egal, was passiert, am Ende siegt immer die Hoffnung!“ Das ist meine Grundaussage, sie gilt für den Mann hier und allerorten: Die eigentliche Wirklichkeit ist das, was wir daraus machen. Es geht darum, wie wir uns dazu positionieren.

Am Grunde des Lebens befindet sich nicht nur sehr viel Hoffnung, sondern auch ein riesengroßes Reservat an Freude. Sie ist oft mit Alltagssorgen verdeckt, sie wird durch Achtlosigkeit oder schwere Schicksalsschläge gerne übersehen. Sie hat keinerlei moralischen Anspruch, sie ist völlig zweckfrei und im schönsten Sinne des Wortes auch völlig nutzlos. Sie ist da und sie steckt an. Es lohnt sich, diese Freude zu suchen und sich von ihr täglich neu in aufmerksamer und dankbarer Gesinnung finden zu lassen. Das kann beim morgendlichen Stoßgebet im Auto sein, bei der Begrüßung meiner Familie am Abend, beim Tennisspielen mit Freunden, beim Kehren des Hofes, beim Bezwingen eines Berges, beim Schreinern einer schönen Tischplatte, beim Lesen eines Buches, beim Genießen eines guten Tropfen Weines, beim Verschenken meiner kostbaren Zeit an Andere …

Es sind nur Worte, aber sie können die Welt verändern. Denken Sie bitte an das Wort "Ja" bei der Hochzeit, wo sich Liebende ein lebenslanges, gemeinsamens Füreinander auf den Kopf vor Gott und den Gästen zusagen. Worte eines Richters haben die Macht über Freiheit und Gefängnis, über Rehabilitation und Zerstörung. Worte eines Lehrers können aufbauend oder auch sehr vernichtend sein. Worte haben performative Kraft, sie bewirken oft genug, was sie sagen.

Meine Bücher sind Impulsgeber, Wegbegleiter, die einen ein Stück des Lebensabschnitts gut tun und vielleicht auch weiterhelfen. Ein gutes Buch ist kein männlicher Ratgeber nach dem seichten Frage-Antwort-Spiel. Es gibt keine Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat. Sehr oft müssen wir Männer lernen, mit offenen Fragen zu leben, sie auszuhalten bzw. sie mit unserer eigenen Unzulänglichkeit zu füllen.

Grenzen meiner Bücher sind erreicht, wenn Männer selbsttätig werden, wenn sie auf eigene Erfahrungen bauen, dann brauchen sie die Wortkrücken anderer nicht mehr, weil sie erkannt haben, dass sie ihre eigenen und besten Lehrmeister sind. Und das ist auch gut so!

Überhaupt bin ich persönlich mit Ratschlägen sehr vorsichtig, weil sie sich oftmals als Schläge erweisen, die einem nicht wirklich weiterhelfen. Obwohl es ein geistiges Werk der Barmherzigkeit ist, zweifelnde Männer nicht im Regen stehen zu lassen oder gerade deshalb sind meine Männerbücher eine Einladung an den Mann, gerne er selbst sein zu wollen bzw. den Mut zu haben, der sein zu wollen, der er vor Gott schon längst ist. Dazu gibt es in der Tat bewährte Wegweiser, die sich im Leben vieler Männer als fruchtbar erwiesen haben, zum Beispiel der Satz aus dem Buch Kohelet:

„Also: Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt!  Mit einer Frau, die du liebst, genieß das Leben alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat, alle deine Tage voll Windhauch!“(9,7ff.)

 

Woher haben Sie die Impulse für die vielen Bücher, die Sie schon geschrieben haben?

Foto: Christian Kuster

Das Meiste ist kein angelesenes, sondern erfahrenes Wissen. Ich hatte das Glück, in meinem bisherigen Leben sehr viele Fehler gemacht haben zu dürfen; aus einigen wenigen habe ich sogar tatsächlich etwas gelernt. Und das gebe ich gerne weiter. Es ist mein persönlicher Erfahrungsschatz. Wenn Sie so wollen, gleichen meine Buchstaben Samenkörnern, die hoffentlich einmal aufgehen und reiche Frucht bringen. Ich schöpfe meine Kraft täglich aus der Bibel, sie ist die größte, unverzichtbare Inspirationsquelle für mich. Für mich ist sie immer aktuell, besonders dann, wenn sie in unsere Zeit hinein treffend gedeutet wird und dem modernen Mann wirklich etwas Existentielles zu vermitteln hat.

Wer für mein persönliches Leben von großer Bedeutung ist, ist der weltweite Mentor der Männerbewegung, Franziskaner P. Richard Rohr (*1943). Nach einem einwöchigen Seminar in der Toskana im Jahre 2000, zu dem meine Frau mich hingesandt hat, hat er uns Männern gesagt: „Und jetzt vergesst alles, was ich euch gesagt habe, und baut auf eigene Erfahrungen! Sie sind der beste Lehrmeister für euer Leben!“ Für mich ist er ein guter Seelsorger und Wegbegleiter. Er hat uns humorvoll in die Freiheit und in die chaotische Wildnis männlicher Eigenverantwortung entlassen.

Es gibt aber noch viele andere Weggefährten, die mir immer wieder zur Seite stehen. Das sind u.a. die Männer, die die Rosenheimer Männertage mitgestaltet haben, die vielen Seminarteilnehmer in Kärnten, Südtirol und Bayern, die Männer, denen ich in der geistlichen Begleitung zur Seite stehen durfte … Und ganz besonders denke ich jetzt an unsere „Offene Männerrunde Großkarolinenfeld“, die ich mit meinem Freund Markus im März 2006 gegründet habe. Kein einziges Treffen von den elf Runden jährlich ist seither ausgefallen, inzwischen sind wir schon über 126 Mal zusammengekommen. Die freundschaftliche Verbundenheit mit den vielen Männern bildet den Kernimpuls einer langjährigen – auch literarisch fruchtbaren - Männerarbeit.

 

Was würden Sie einem jungen Mann von heute raten?

 

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Ich würde ihm sagen: „Sei ehrlich zu dir selbst, hör auf dein Herz, riskier' etwas und habe den Mut, Fehler zu machen und auch mal verrückt zu sein!“ Ich denke jetzt an den argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges, der mit 85 Jahren, kurz vor seinem Tod in Genf im Jahre 1985 schrieb: „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, im nächsten Leben, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen. Ich würde nicht so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen. Ich wäre ein bisschen verrückter als ich gewesen bin, ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen. Ich würde nicht so gesund leben. Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen …“

Ich weiß, dass das kein üblicher Rat in einer leistungs- und gewinnorientierten Welt ist. Aber mit unseren hohen und oft auch verlogenen Ansprüchen machen wir leider auch sehr viel kaputt, wir hindern uns am Leben, wir hocken in den Löchern unserer vermeintlichen Sicherheit, wir riskieren nichts, wir beobachten, wir lauern, aber wir handeln nicht wirklich, wir werfen unser Leben nicht in die Waagschale des Glaubens, wir werden zu passiven Zuschauern einer Real-Life-Party, die sich letztlich wieder auf unseren Handys abspielt. Und so gibt es keine echte, zwischenmenschlich bedeutsame Weiterentwicklung, es gibt nur Stillstand und viele Patt-Situationen. Leistungsoptimierung ist als erstrebenswertes Ziel für ein hungriges Männerherz viel zu wenig. Junge Männer möchten Grenzen ausloten, über ihre Grenzen gehen, sie möchten die Welt einnehmen, zum Guten verändern, schöne Frauen erobern, sie müssen fallen und aufstehen, sie möchten anpacken und gestalten. Wenn sie sich das verwehren, bleiben sie weit hinter dem zurück, was sie eigentlich sind: Propheten, Könige und Söhne Gottes!

 

Worin sehen Sie die größte Herausforderung für den modernen Mann?

Foto: Christian Kuster

Wenn ich die Berichterstattungen aufmerksam studiere, wenn ich mit Männern im Gespräch bleibe, wenn ich mir die gängige Männerliteratur so anschaue, dann sehe ich, dass der moderne Mann in einer großen Verunsicherung lebt. Und das mit allen Vor- und Nachteilen. Es scheint manchmal kein Stein auf dem anderen zu bleiben: Völker bewegen sich auf Europa zu, die weltweite, politische Stabilität ist in Gefahr. Das macht vielen Angst. In Zeiten des familialen, beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs braucht es aber auch gewagte und abenteuerliche Aufbrüche. Darin besteht die Chance für den Mann von heute.

Aber wohin soll er aufbrechen? Wohin geht unsere Reise als Männer? Ich persönlich bin in dieser Hinsicht sehr klar. Der heilige Christophorus wollte nur dem Stärksten dienen. Und er hat so lange gesucht, bis er schließlich für sich einen Platz am Fluss als Fährmann gefunden hat. Der moderne Mann geht auch in die Tiefe, er sucht sich eine Aufgabe, die größer ist als sein kleines, verletztes Ego. Im weisheitlichen Psalm 1 wird der glückliche Mann mit einem Baum verglichen, der an Wasserbächen gepflanzt ist, dessen Blätter nicht welken und der zur rechten Zeit Frucht bringt (vgl. Ps 1).

Der glückliche Mann vernetzt sich. Beherztes Engagement ist gefragt: für die eigene Frau und Familie, für die pflegebedürftigen Eltern, für die Gemeinde, in der er lebt, für die Armen, in denen sich seine eigene Bedürftigkeit spiegelt. Die Auseinandersetzung mit der Bibel, die ritualisierte und freundschaftliche Verbundenheit mit Männern, wie sie etwa in Männerrunden oder anderen diözesanen Männerangeboten möglich ist, das gelebte Ehrenamt beispielsweise am Fußballplatz, in der Flüchtlingshilfe, im Gemeinderat, bei der Feuerwehr, im regionalen Lebensmittelhandel, in der Umweltpolitik oder in der pfarrlichen Firmgruppe … Ich glaube tatsächlich, dass all das wirklich männliche Identität stiften und kräftigen kann.

Was braucht man in einer Welt, die auch weltpolitisch oft aus den Fugen zu geraten scheint? - Männer, die dem Leben auf heitere Weise Verlass und Gewähr geben!

Das zu leisten sehe ich als die größte Herausforderung an den modernen Mann in einer oft zu unverbindlichen und beliebigen Zeit. Männer, die einen Vater, wie einen Fels in der Brandung, zu schätzen wissen, tun sich in dieser Hinsicht leichter. Für andere gilt: Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit, d.h.:, dass sie jetzt beginnen können, an ihrem beständigen Leben zu bauen und sich dementsprechend auch Hilfe holen dürfen.

 

Welcher biblische Mann steht Ihnen am nächsten?

Foto: Christian Kuster

Das ist eine schwierige Frage, weil immer wieder neue Facetten im Leben biblischer Männer zutage treten. In meinem ersten Buch „Mann, wo bist du?“ habe ich über 50 biblische Männergestalten quer durch das Jahr für den Mann von heute abgearbeitet. Aber die Bibel ist immer wieder eine Fundgrube für ganz neue – oft überlesene – Entdeckungen. Kürzlich erst habe ich gelesen, dass David als Hirtenjunge schon einen Löwen und einen Bären erschlagen hat (vgl. 1 Sam 17,34). Er war also gar nicht so unbedarft, als er mit Goliat in den Ring stieg. Für mich bedeutet dies, dass ich meine Kräfte nützen muss, dass ich sie nicht verkümmern lassen darf, dass ich etwas aus meinem Leben machen muss, ehe es zu spät ist. David hat schon als Jugendlicher Verantwortung für die Herde seines Vaters übernommen und diese vor wilden Tieren verteidigt. Später hat David viel verbockt, er hat viel falsch gemacht. Und trotzdem ist er der Lieblingskönig seines jüdischen Volkes, aus seinem Geschlecht geht unser Messias Jesus, der Sohn Josefs, hervor. Für David gilt, was ein königlicher Insider neulich über Prinz Harry gesagt hat: „Er hat viel Fehler gemacht, er macht viel Fehler und er wird noch viel Fehler machen. Trotzdem lieben wir ihn, wir verzeihen ihm, denn er ist unser Prinz.“

 

Wie politisch sollte ein Männerleben sein?

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Ich persönlich bin der Meinung, dass es erbärmlich für einen Mann ist, wenn sich all seine Leidenschaft im Binnenraum seiner Familien- bzw. Arbeitswelt erschöpft. Dann ist er ein sehr kleiner König, in dessen Reich sehr wenig Menschen Platz haben. Ein Mann muss runter vom Sofa und rein in die Politik. Er muss sich einer Sache verschreiben, die es wert ist, öffentlich umkämpft und erstritten zu werden. Das kann der Einsatz für die bedrohte Umwelt genauso sein, wie der Kampf um eine gerechte Güterverteilung auf Erden. Das kann aber auch ein Engagement in einem Verein oder eine literarische bzw. künstlerische Tätigkeit sein, die öffentliche Aufmerksamkeit erregt und öffentlich in die Welt hineinwirkt. Ich finde es destruktiv, wenn sich Kirche nur im liturgischen Rahmen abspielt, wenn sie nicht nach Außen geht, hin zu den Menschen, die sie in ihren Predigten und Gebeten im Blick hat. Und so ist es auch im Männerleben: „Gang uz dir uz“, hat es der Dominikaner Meister Eckhart (+1328) gesagt: „Geh weg von dir, hin zu denen, die dich brauchen, zu etwas, das größer ist als dein begrenztes, kleines Ich!“

 

Männer und Kirche – wie passt das zusammen?

 

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„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“ Dieses Zitat von Bischof Jaques Gaillot (*1935) gilt natürlich auch für die Männer. Manche Männer sind in der Regel auf die Kirche nicht allzu gut zu sprechen, weil sie hier keinen Nutzen für sich selbst finden. In den weichen Kirchen-Riten finden sie sich nicht wirklich angesprochen und beheimatet. Männer brauchen archaische, wilde Areale, sie wollen schwitzen, bluten, kämpfen, siegen und – wenn nötig – auch verlieren. Die Kirche ist ihnen zu angepasst, zu altmodisch, die Liturgie zu monoton, die Predigt zu abstrakt, die Kirchenleitung oft zu kraftlos (Männer in Frauengewändern) und außerdem werden die Gottesdienstbesuche von Frauen dominiert. Etliche Männer fühlen sich nicht wirklich in der Kirche mit ihren Fähigkeiten gebraucht, gerufen, herausgefordert. Die Männer müssten dort wahrscheinlich brav und nett, fromm und gehorsam sein, doch das liegt ihnen nicht. Sie stehen lieber schwitzend am Grill, hängen in atemberaubenden Höhen an den Kirchtürmen, wo sie Dachschindeln decken, bedienen die Pfarrgemeinde als Tische- und Bänke-Träger, bauen riesige Holzschiffe für die Kinder in den Kindergärten, fahren in polternden Lastwägen den Balkan bis nach Albanien hinunter, wo sie Kleider und Nahrungsmittel an Bedürftige verteilen … Männer wollen organisieren, entscheiden, planen, gestalten, ausführen, sie wollen diese Welt und Kirche ein Stück weit zu einem freundlicheren Ort verwandeln. Ein weichgespültes Wohl-Fühl-Christentum mit einem langhaarigen, bigotten Softie-Jesus im Zentrum lehnen sie genauso ab, wie die „Lieb-Jesulein-Familien-Gottesdienste“, die von eifrigen Müttern in bester Absicht vorbereitet und gestaltet werden. Ich frage mich oft, wenn ich Kirchen besuche: Sag mir, wo die Männer sind, wo sind sie geblieben? Wo gehen sie hin?

Männer brauchen das Abenteuer – z.B. in der Wildnis - und sie brauchen Nischen, in denen sie absichtslos und völlig zweckfrei die sein dürfen, die sie sind. Jesus, der leidenschaftliche, mutige und tatkräftige Kämpfer für Gottes Reich, könnte tatsächlich der Schlüssel zu einer neuen, von Männern mitgestalteten, Kirche sein. Praktische Zugänge dorthin bilden die Männerrunden, oder eben spezielle diözesane Männerangebote der Männerseelsorge: Männertage, meditatives Bogenschießen, Kanufahrten, Bergexerzitien für Männer, Vater-Sohn-Wochenenden usw.. Aber all das mit dem Ziel, den Mann an seinem Lebensmittelpunkt zu stärken, damit er seinen Herausforderungen auch gewachsen bleibt.

 

Wie sieht das Rollenverständnis des modernen Mannes aus?

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Vor vierzig Jahren war die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau klarer und auf den ersten Blick auch einfacher: Die Frau war den drei „K’s“ Kirche, Küche und Kinder zugeordnet und der Mann war der klassische Familienernährer, Erwerbstätige usw.. In das Familienleben hat er sich kaum eingemischt, als Vater war er oft nicht greifbar. Ich bezweifle, ob das „damals“ besser war. Heute haben Frauen und Männer jedenfalls mehr Freiheiten und auch Möglichkeiten ihr Familienleben zu gestalten. Männern wird abverlangt, dass sie nach wie vor ihre Familie ausreichend ernähren, dass sie gute und präsente Väter sind, dass sie auch als Liebhaber einiges zu bieten haben … Damit steigen gewissermaßen auch die Anforderungen an den Mann, der seinerseits lernen muss, Verantwortung mit seiner Frau zu teilen.

„Den“ klassischen modernen Mann gibt es nicht, es gibt nur die klare Empfehlung, sein Leben auf mehrere, ausgewogene und stabile Standbeine zu stellen. Das bedeutet u.a., die Erwerbsarbeit nicht über zu bewerten und der Familie gebührenden Raum zu geben, die eigene Spiritualität nicht zu vernachlässigen, Freundschaften und Hobbys zu pflegen ... Es ist besser für den Mann, wenn er seinen Lebensentwurf auf mehreren, bodenständigen und dauerhaften Beinen festmacht, dann kann er jedenfalls nicht so schnell straucheln. Er fällt nicht aus allen Wolken, wenn mal ein Standbein wackelt.

 

Sie schreiben viel über die Freude. Welchen Stellenwert hat sie in Ihrem Leben?

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Freude ist für mich das Kriterium echten Christseins. Die Unglücklichen, die Kranken, die Trauernden, die Verlassenen die Einsamen und Verzweifelten mögen es mir nachsehen, aber ich halte unbeirrt seit vielen Jahren an dieser Überzeugung fest: Ich glaube tatsächlich, dass wir Menschen zur Liebe und zur Freude geschaffen sind. Der Weg dorthin ist zugegebenermaßen oft sehr dunkel, düster und gefährlich. Aber die Freude bekommen wir eben nicht im esoterischen Superaktionspreis von „drei für zwei Glückspillen“ verabreicht.

Die Freude orientiert sich am Gekreuzigten. Aus seinen Wunden strömen unablässig Blut und Wasser, unzerstörbare Lebenssäfte. Seine Liebe ermöglicht uns den Zugang zu den Quellen der Freude. Diese Freude ist so echt und so tief, dass sie durch nichts überwunden werden kann. Sie ruht oft am Grunde unseres Seins, ist kaum vernehmbar, kaum spürbar, aber sie ist da und sie trägt wie die Liebe, die uns miteinander verbindet. Und manchmal bricht sie ungestüm aus unserem Leben hervor. Freude, Liebe und Ekstase sind drei gute Freundinnen, die uns Männern jetzt schon einen deutlichen Vorgeschmack auf das kommende Himmelreich verabreichen.

Freude ist kein Gefühl, sie ist eine Grundeinstellung, die mich trägt – auch in schweren und trostlosen Zeiten. Sie ist verbunden mit dem ausdrücklichen trotzdem Ja zum Leben zu sagen, wie es Viktor Frankl ausdrücken würde. Ich persönlich möchte sie nicht missen und ich denke jetzt an Meister Eckhart, der von der unio mystica gesprochen hat – von jener verrückt-mystischen Vereinigung, die den Menschen in eine unvorstellbare Freude hinein entrückt. Voraussetzung dafür ist die Gelassenheit, d.h.:, dass ich alles, was mich hindert heute fröhlich und dankbar zu sein, hinter mir lasse. Das lässt sich üben und in kleinen Schritten täglich neu erreichen.

 

Welche Rolle spielt das Gebet in einem Männerleben?

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„Ich bete, daher bin ich“, könnte man in Ableitung eines Satzes des französischen Philosophen René Descartes (1596-1650) sagen. Tatsächlich gibt es Phasen im Leben eines Mannes, in denen das Gebet überlebensnotwendig wird. Wenn alles zerbricht, wenn so vieles den Bach runtergeht, wenn Freundschaften, Beziehungen oder Arbeitsprozesse scheitern, wenn die Gesundheit zur nostalgischen Erinnerung geworden ist, dann greift nur noch eines: das Gebet. Für mich ist es das letzte und wichtigste Refugium einer zerbrechlichen hinfälligen und sterblichen Existenz, der letzte, unzerstörbare und heilige Ort, wo der Mensch selbst in der größten körperlichen und seelischen Anfeindung ganz bleibt. Das Gebet ist das Tor zur Wirklichkeit, weil ich mich im Gebet vergesse, mein Ego aufgebe und mich ganz dem hingebe, was ist.

Im Gebet bleibe ich einem faszinierenden und furchterregenden Geheimnis verbunden, das meine Gebrechlichkeit übersteigt, das mir gerade in meiner Ohnmacht so unendlich nahe ist und in meine Verzweiflung so eine Ahnung von einer Hoffnung übermitteln kann, die ich dann just in den grauen Alltag hinein übertrage und lebe.

Das Gebet ist eine lebenslange Schule und wir tun gut daran, sie möglichst früh zu beginnen. Damit meine ich vor allem auch die jungen, erfolgreichen, schönen Zeiten, die ebenso von Dankbarkeit gezeichnet sein wollen, wie die dunklen und schwierigen Lebensphasen. Im Gebet erfahren Männer Heilung, Stillstand der Zeit, Verkostung der Ewigkeit, Trost und Kraft für die Bewältigung des Alltags. Gebet ist eine Grundeinstellung, die ein Männerleben trägt: „Ich schaff es nicht allein, ich bau total auf dich!“

Das Gebet ist u-topisch, weil es nicht an Orte gebunden ist, weil es letztlich von mir abhängt, wie ich es in meinem Leben verorte und Frucht bringen lasse. Das Gebet ist auch verrückt, weil nur Verrückte mit einem sprechen, der offensichtlich nicht greifbar da ist und dabei dem Mann mit Herzensauge doch so nahe und präsent sein kann, wie nichts und niemand auf der Welt.

 

Was ist für Sie das typisch Männliche?

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Diese Frage ist gar nicht so einfach. Früher hat man gesagt, dass echte Indianer keinen Schmerz kennen. Daher weinen Männer nicht, zeigen wenig Gefühle, tragen ein Pokerface, sprechen kaum über sich und ihre Bedürfnisse, vernetzen sich viel schwerer als Frauen. Aber ist dem wirklich so? Es ist schon lange nicht mehr typisch männlich, einen Hochkran zu bedienen, in Kohlegruben zu arbeiten und der Beruf des Soldaten oder Polizisten ist auch in Deutschland schon lange keine männliche Domäne mehr.

Rein körperlich könnte man sagen, dass Männer breitere Schultern haben als Frauen, dass sie einen Penis zwischen den Beinen tragen, eine tiefe Stimme haben, dass sie mit dem Hormon Testosteron ausgestattet und mit Bartwuchs gesegnet sind. Aber in Zeiten von Gender, also der freien Wahl des sozialen Geschlechtes, ist diese Definition auch nicht mehr so eindeutig. Der Schweizer Psychiater C.G. Jung (1875-1961) sprach davon, dass der Mann seine Anima, seine Weiblichkeit, in seine Männlichkeit integrieren müsse. Dieses Bild vom Mannsein gefällt mir gut. Denn beide Geschlechter sind nicht so weit voneinander entfernt. Wenn es die Archetypen der Könige, der Krieger, der Liebhaber und Weisen gibt, gilt dies genauso für die Frauen. Auch sie tragen das Ursprungsbild der Königin, der Amazonin, der Liebhaberin und der Weisen in sich. Im Idealfall lernen Mann und Frau voneinander und wenn sie vollkommen sein wollen, dann gilt es, das jeweils Andere in die eigene Persönlichkeit aufzunehmen. Das kann für einen wilden und ungestümen Mann die Entdeckung der Zärtlichkeit sein und umgekehrt.

Traditionell ist der Mann eher der, der aus sich und der Höhle rausgeht, der riskiert, der zeugt und schafft, der die Familie ernährt, der die Umwelt bewahrt, während die Frau eher die Empfangende, Gebärende und Behütende ist. Sie ist es, die tragende soziale Netze aufbaut und erhält, während der Mann sich eher auf den Familienunterhalt konzentriert. Aber wie gesagt, diese Rollenbilder sind sozialer Natur und befinden sich ganz schön im Wandel.

Ich denke, dass der Mann auf die Frau zugehen muss und umgekehrt, so lernen sie voneinander. Beide brauchen Bereiche, wo sie unter Ihresgleichen sein dürfen, das stärkt ihre Identität und macht sie langfristig bindungsfähig. Für sehr unmännlich halte ich es, wenn Männer ihre Aufgabe - z.B. für die Familie - vernachlässigen oder ihr gar nicht mehr nachkommen. Es ist hingegegen durchaus männlich Verantwortung für die Frau an meiner Seite, für die Kinder, die ich erziehe, für die Stadt, in der ich wohne usw. zu übernehmen. Niemand möchte gerne wie eine Drohne aus dem Stock geworfen werden. Neue Männer braucht das Land - Männer, die in ihren Familien, unter ihren Freunden, an ihrem Arbeitsplatz, in ihren Vereinen, in ihrer Kirchengemeinde verantwortungsvoll und zuverlässig auftreten, nicht austreten.

 

Was wäre das Schlimmste, das Ihnen passieren könnte?

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Der Verlust meiner Familie, meiner Gesundheit, meiner Arbeit, meines Glaubens fallen mir jetzt spontan ein. Aber schlimm wäre es auch, wenn ich jemanden fahrlässig – zum Beispiel im Straßenverkehr – töten würde. Jetzt ist das reine Spekulation, aber im Angesicht der totalen Bedrohung möchte ich wie Paulus sprechen und glauben können: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,38f.)

Es ist kein Geheimnis: Im spirituellen Leben erweist sich sehr oft die Niederlage, der Verlust, die Kapitulation als Tor zu einem neuen, befreiten Leben. Wie das genau vor sich geht, weiß keiner, aber wenn ich mich auf die Situation einlasse, wie sie eben ist, wenn es mir gelingt, das Absurde, das Negative, das Dunkel in meinem Leben zu umarmen, dann führt es mich tatsächlich ans Licht, dann befreit mich dies zu einem neuen, unglaublich erfüllenden Leben.

 

Welcher Mann ist für Sie ein heldenhaftes Vorbild?

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Ich möchte da nicht so weit ausholen. Ein Held ist für mich einer mitten unter uns, einer, der seine Angst besiegt, der mit seinen vielen Schattenseiten versöhnt leben kann. Ein Held ist einer, der sich mit Gleichgesinnten verbündet, der Freude und Licht verbreitet, einer, der authentisch lebt und das auch mit seinen vielen Fehlern. Helden sind Männer, die nicht stehenbleiben, die an sich und ihren Lebensumständen wachsen und reifen, die weitermachen, die immer wieder aufstehen, die sich treu bleiben – aber eben auch im Wandel ihrer Überzeugungen.

Mir fällt jetzt mein verstorbener Vater ein. Er blickt stets lächenld auf meinen Schreibtisch. Sein Sterbebild ist mir nahe. Er war bestimmt kein einfacher Mensch, wir hatten es nicht leicht miteinander, aber ich glaube, dass er sehr viel gelernt hat und am Schluss seines Lebens hat er mir gesagt, dass ihm rückblickend manches, das er gemacht hat, leidtut. Das ist für mich menschliche Größe, das ist Offenheit und Aufbruch bis in die letzten Atemzüge hinein. Ich bin sehr stolz auf meinen Vater. Er hat es geschafft, er ist in Frieden in eine neue Welt gegangen ...

 

Was hat es eigentlich mit den männlichen Initiationsriten auf sich?

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Mädchen bzw. Frauen brauchen körperlich bedingt durch die Menstruation und den Geburtsschmerz keine ausdrückliche rituelle Initiation. Sie werden sozusagen durch das Leben selbst in die Geheimnisse des Lebens initiiert. Beim Mann ist es anders. Er ist in unserer Kultur durch einen permanenten Aufstiegsgedanken geprägt. Aber irgendwann stößt auch er an die Decke seiner Möglichkeiten. Für ihn sind oft die Schwellen, die Lebensübergänge von der Pubertät ins Erwachsenenalter, von der Schule in die Arbeitswelt, vom Single-Dasein in die Ehe und Vaterschaft, später in die Midlife-Crisis, in die Rente … eine große Chance, sich neuerdings auf das volle Leben einzulassen. In diesen Phasen ist der Mann empfänglich für Neues, er ist oft hungrig nach einer neuen Lebensorientierung. Um den Mann auf diese Phasen vorzubereiten, pflegen viele Kulturen die so genannten Initiationsriten.

Im Judentum, im Islam und diversen Stammesreligionen, gibt es z.B. Beschneidungsrituale an Jungen. Sie und alle anderen Initiationsriten wie Fasten, Einsamkeit, vielfältige Bewährungsproben … haben den einen Sinn, den Jungen auf den großen Schmerz des Lebens in einem heiligen und geschützten Rahmen von erwachsenen Männern vorzubereiten. So wird er in die Welt der Männer aufgenommen. Er ist dann nicht mehr das Kind, das er vorher war, er ist ein Anderer geworden.

In unserer westlichen Kultur ist nur noch die „Firmwatsch’n“ (Salbung und sakramentale Segnung des Firmspenders) des Bischofs oder seines Gesandten als letzter Rest des heiligen Schmerzensrituals übriggeblieben. Tatsächlich werden christliche Männer zwar über die Sakramente der Taufe, Eucharistie und Firmung in die Gemeinschaft und in das Leben der Erwachsenen hinein initiiert, aber deren tiefere Bedeutung bleibt ihnen oft verborgen. Und das ist schade und hindert den Mann am Leben. Er weiß oft nicht, dass er auf den Tod und die Auferstehung Jesu hinein zu neuem Leben erwacht ist.

Die vier – in allen Kulturen geltenden - Initiationsbotschaften helfen auch dem modernen Mann, sein Leben zu bewältigen, sie lauten ganz kurz zusammengefasst:

  1. Du bist sterblich. – Das klingt so banal, ist aber in einer verzweckten und multioptionalen Welt keine angenehme und realistische Botschaft. Sie wird oft verdrängt und das führt zu unnötigem Leiden. Der Blick auf die Endlichkeit des Lebens öffnet oft den Horizont für ein Leben, das noch mehr zu bieten hat, als das, was wir augenscheinlich wahrhnehmen.
  2. Nimm dich nicht so wichtig. – In einer Welt, in der sich viele Menschen digital outen und selbstdarstellen, ist es heilsam, sich nicht so wichtig zu nehmen. Der Mann ist an allen Stellen ersetzbar, sogar bei seiner Frau und Familie. Das schenkt ihm auch eine gewisse Entlastung und gibt Gott in seinem Leben mehr Raum.
  3. Das Leben ist hart. – Viele naive Männer fallen zwangsläufig auf die Nase, weil sie es einfach nicht kapiert haben, dass das Leben mitunter sehr hart und herausfordernd ist.
  4. Es hast nicht alles unter Kontrolle. – Wir Männer sind Teil eines großen Ganzen. Wir bestimmen nur geringfügig über unser Leben. Auch diese Erkenntnis macht uns demütig und dankbar für das, was ist.

 

Welche Rolle spielt die Sexualität im Leben eines Mannes?

 

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Es ist ja bekannt, dass die Libido, also der Sexualtrieb, beim Manne in der Regel stärker ausgeprägt ist, als bei der Frau. Das kann u. U. zu perversen Fehlformen der Sexualität führen, wo dann Menschen missbraucht, verzweckt, benützt werden. Die Bibel verschweigt uns solche Abweichungen vom Ursprungsbild der Liebe nicht. Auch dort gibt es Vergewaltigungen, Ehebruch, Missbrauch, Inzest, Prostitution usw..

Die Bibel spricht aber besonders auch von der Schönheit, vom Geschenk der Sexualität. In den beiden ersten Schöpfungsberichten sind Mann und Frau als Ebenbilder Gottes einander gleichwertig gegenübergestellt, sie ergänzen sich, sie werden „ein Fleisch“, sie sind offen für die Frucht ihrer Liebe - die Kinder. Sie sind mit Leib und Seele grundsätzlich sehr gut geschaffen. Im Hohelied wird die Liebe von Mann und Frau poetisch besungen, dieses Buch lässt sich an Erotik nicht überbieten. Es ist schön, dass es in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen wurde, es ist ein großes und bleibendes Vermächtnis an die Weltliteratur.

Sexualität ist also ein göttliches Geschenk, es ist verbunden mit Freude, Lust, ganz viel Liebe und vertrauensvoller Hingabe. Jedes Paar entscheidet für sich, was gut und möglich ist. Ich denke, da gibt es keine Grenzen, so lange die respektvolle Liebe das entscheidende Kriterium ihrer Begegnungen ist und bleibt.

 

In der Bibel wird die Arbeit als Segen und als Fluch bezeichnet. Wie schätzen Sie die Wertigkeit der Arbeit im Leben eines Mannes ein?

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Im Buch Genesis heißt es tatsächlich, dass der Mensch unter Mühsal vom Erdboden essen und im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen werde (Gen 3,17f.). Auch der Weisheitslehrer Kohelet sieht in der Arbeit vorwiegend Windhauch und Luftgespinst (Koh 4,6). Allerdings muss man dazu sagen, dass diese Sicht der Arbeit Folge der Entfremdung des Menschen von sich selbst und von Gott darstellt. Ursprünglich ist der Mensch aktiv in die Schaffenskraft Gottes eingebunden, er soll über die Tiere walten (Gen 1,26), er ist kreativ, er lebt und arbeitet gerne. In der Arbeit kann er sich seinen Anlagen nach entfalten, er sorgt für den Lebensunterhalt seiner Familie, er pflegt soziale Kontakte, fördert junges Leben und im Idealfall geht er einer Arbeit nach, hinter der er voll und ganz stehen kann, die den Menschen und der Umwelt dient und niemandem willentlich schadet.

„Tut eure Arbeit gern, als wäre sie für den Herrn und nicht für Menschen“, schreibt der Verfasser des Kolosserbriefes in seiner Hausordnung (Kol 3,23). Wenn wir für Gott arbeiten, sind wir frei von Lob und Tadel der Menschen, dann sind wir selbstständig und wenn wir gerne arbeiten, nähern wir uns wieder ein Stück weit dem Paradies, jenem Urzustand, in dem der Mensch noch eins war mit sich und der Welt. Der siebte Schöpfungstag erinnert uns an unsere Urbestimmung als Menschen. Er ist heilig, er gilt als Vollendung des Gotteswerkes und der Mann hat auch daran seinen Anteil. Fröhliches Schaffen geht natürlich in Zeiten von Lohndumping, Kinderarbeit, Wanderarbeit und Leiharbeit nicht immer, aber es ist zumindest ein erstrebenswertes Ziel.

Die Benediktiner haben sich das Zusammenspiel von Muße und Arbeit auf die Fahnen geschrieben: „Ora et labora“ – bete und arbeite. Wer in diesem Wechsel von Spannung und Entspannung lebt, brennt nie aus, dem wird die Arbeit zur immerwährenden Quelle für neue Ideen, Anregungen, Impulsen und Handlungsaufträgen. Umgekehrt sorgt solch ein Mann für sich, für seine Erholung, für seinen Geist, für Entlastung und für ausreichend Zeit, die seiner Familie und seinen Freunden zugutekommt. Wenn Männer allerdings den Bogen überspannen, wenn sie zu Workaholics werden und sich nur noch über ihre Leistung definieren, leben sie sehr einseitig und sind in Gefahr, alles zu verlieren: ihre Gesundheit, ihre Familien, ihre Freunde … Niemand ist vor dieser Versuchung gänzlich gefeit.

 

Welche Bedeutung haben Freunde im Leben eines Mannes?

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Es ist bekannt, dass das Leben eines Mannes im Idealfall auf mindestens vier Beinen steht: Das sind die Kern- und Großfamilie, die Arbeitswelt, die Hobbys und die gepflegten Freundschaften. Ein guter Freund ist wirklich wie ein Leuchtturm in der Nacht, er macht die Wüste zu einem freundlichen, bewohnbaren Ort, er gibt mir unverdienterweise Zuwendung und Wertschätzung und umgekehrt bin ich für ihn auch ein lebender Anker, der ihm Halt und Orientierung schenkt.

Freundschaften wollen gepflegt und nicht dem Zufall überlassen werden. Wer einen guten Freund an der Seite hat, hat einen Schatz gefunden. Ich kenne einen jungen Mann, der keine Freunde hat, der nur geschätzt wird, wenn er etwas liefert, wenn er andere zum Essen einlädt o.ä.. Er hat viel Geld, aber keine echten Freunde. Das finde ich bedauerlich, denn ein Männerleben erschöpft sich nicht in der Familie und in der Arbeit, es lebt vor allem auch von bedingungslosen Begegnungen auf Augenhöhe von Mann zu Mann.

Dem Freund muss ich viel nachsehen, denn ich möchte ja auch nicht, dass er mir meine Vergehen ständig vorhält. Ein guter Freund zeigt seine Verbundenheit durch kleine Aufmerksamkeiten: einen Besuch zum Geburtstag, einen Zeitgutschein, wenn es was zum Feiern gibt, eine Einladung nach Hause ... Freundschaft lebt letztlich von der Exklusiv-Zeit, die wir einander schenken, das macht uns richtig glücklich.

 

Wie sehen Sie den Mann von heute?

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Ich persönlich sehe den Mann von heute so, wie er ist, mit all seinen Schwächen und Stärken. Er ist bestimmt nicht automatisch besser, als er es vor fünfzig Jahren noch war. Ich würde mir wünschen, dass er seine Kraft für eine bessere Welt einsetzt, d.h., dass er sich politisch und ökologisch engagiert, dass er sich dem konsum- und erfolgsorientierten Mainstream widersetzt und sich gehörig für ein   nachhaltig gutes Leben auf Erden einsetzt.

Ich sehe da sehr viel Betätigungsfelder für Männer:

  1. Den Einsatz für ein umweltgerechtes Leben auf Erden, dies ist mit Selbstbescheidung und Vereinfachung des Lebens verbunden,
  2. die Solidarität mit den Ärmsten (Flüchtlingen, Kranken ...), die uns niemals gleichgültig lassen darf,
  3. das Hören auf die Frau, auf ihre Visionen und Pläne,
  4. einen versöhnlicher Umgang in der Familie, als Keimzelle (Hauskirche) der Gesellschaft ...
  5. das unermüdliche Engagement in der Ökumene, in der wir den Anderen als unsere Brüder und Schwestern erkennen,
  6. den Dialog auf Augenhöhe mit den Menschen anderer Religionen, die von Gott genauso geliebt werden, wie wir selbst,
  7. und das Leben jenseits von dogmatischen Regeln und Geboten im Reich der zweckfreien, barmherzigen Liebe, die keine Grenzen kennt, sie wird auch Mystik genannt.

Das muss nicht unbedingt kirchlich sein, es genügt, wenn der einzelne Mann seinen Platz ausfüllt und dem Spruch folgt: "Nicht jeder kann alles, aber keiner kann nichts." Wer sich dieser Weisung besinnt, wer danach lebt, wird in jedem Falle Aufgabenfelder finden, die er gut und gerne erfüllen kann. Es gibt so viel zu tun auf dieser Erde und ich würde mir wünschen, es gäbe mehr Männer, die freundlich, humorvoll und bestimmt ihre Ziele in kleinen Schritten anstreben und vieles auch erreichen.

Die Welt braucht Männer, die bestehen, die auch der Jugend Orientierung verleihen, die mutig und selbstbewusst vorangehen, die loslassen, Jüngeren etwas zutrauen, diem gut und aufmerksam hinhören, die sich vernetzen, die täglich dazulernen, die neu so von Gott reden, so dass die Menschen unserer Zeit diese Sprache auch verstehen.

 

Wie beurteilen Sie die Glaubwürdigkeit der Kirchen angesichts steigender Kirchenaustritte?

Foto: Christian Kuster

Die Zeit bleibt nicht stehen, sie rauscht an uns vorbei, sie reißt uns mit, mit allem, was wir sind und tun. Sie holt uns ein und das oft erst nach Jahrzehnten. In der Kirche läuft vieles schief: Ämter- und Kindesmissbrauch, Geldverschwendung, Klerus- und Laiengefälle, Weltabgewandtheit ... Vieles an Unrecht schreit zum Himmel und darf nicht beschönigt werden, vor allem nicht die Missbrauchsfälle. Das ist ein fürchterlicher Skandal, ein abscheuliches Verbrechen, das nach juristischer Klärung verlangt und unter keinen Umständen geduldet, beschönigt, verheimlicht oder anonymisiert werden darf. Meiner Meinung nach müssen diese Fälle alle vor einem weltlichen Gericht geklärt werden, denn dies sind durchaus keine Bagatellen und schaden dem Ruf der Kirchen ungemein. Hier wurden und werden Kinderseelen zerstört und es geschieht den Tätern oftmals faktisch nichts. Die Menschen verlassen massenweise die Kirchen und das oft nicht ohne guten Grund.

Die Kirche ist so glaubwürdig, wie es ihre Glieder sind. Wir müssen heute - wie zu allen Zeiten - zur "ecclesia semper reformanda" - zur ständig sich erneuernden - Kirche werden. Das ist eine lebenslange Aufgabe auch für jeden einzelnen Christen. Am Ende unserer Tage werden wir nicht gefragt werden, was der Kardinal "Sowieso" alles verbockt hat, sondern wir werden mit folgender Überlegung konfrontiert: "Und was hast du aus deinem Leben gemacht?" Außerdem wird in diesen Tagen offenkundig, dass Amt und Mensch strikt voneinander zu trennen sind. Die Versuchung das Gute im Amt mit dem Guten im Menschen zu vermischen, ist sehr groß. Aber Tatsache ist, dass auch Priester sündige und anfällige Menschen sind, sie sind durch die Weihe nicht per se heiliger oder besser als andere Menschen - im Gegenteil: Der Umgang mit dem Heiligen kann einen Menschen hochmütig und herzlos machen, darauf müssen wir alle unser Augenmerk legen.

Und außerdem können wir unsere Eigenverantwortung für ein gutes, christliches Leben nicht so einfach an vermeintlich Schlechtere delegieren. Wir sind nicht automatisch bessere Menschen, bloß weil andere Böses tun und wir nicht. Das gilt für jeden Mann, für jeden Getauften, für jeden Christen. Wir sind gefordert, jetzt und heute das Beste aus unserem Leben zu machen, das macht uns - und letztlich auch die ganze Kirche  - authentisch. Wir müssen wissen, dass wir alle hinfällige und anfällige Menschen sind, dass wir oft genug fehlen. Die Frage ist jetzt: Wie gehen wir mit unseren Schatten um? Verdrängen wir sie, laufen wir vor ihnen davon, beschönigen wir sie? Oder integrieren wir sie in unser Leben, indem wir uns annehmen, wie wir sind, ohne Angst zu erschrecken oder an Ansehen zu verlieren?

Ich persönlich kenne sehr viele echte Christen, wir nennen sie Heilige, es gibt sie aber auch schon zu unseren Lebzeiten. Meist sind das Menschen, die sich selbst nicht so wichtig nehmen, die Humor haben und Nachsicht üben und die ganz selbstverständlich und einfach glauben: Sie empfangen die Sakramente, sie lieben ihre Mitmenschen, sie hören auf das Wort der Heiligen Schrift, sie tun Gutes, wo es ihnen möglich ist, sie beten, sie besuchen die Gottesdienste, sie bleiben ihren Partnern treu, sie halten sich an den sokratischen Sieb und wollen nur das hören, was gut, wahr und notwendig ist ...

 

Gibt es überhaupt einen Gott?

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Ich möchte diese Frage erstmal verneinen. Nein, es gibt keinen Gott, zumindest keinen solchen, wie wir uns ihn vorstellen!

Die Frage nach der Existenz Gottes ist sehr elementar. Wissenschaftlich gesehen stehen die Chancen auf die Existenz Gottes 50:50, weil man weder seine Anwesenheit noch sein Nicht-Sein beweisen kann. Letztlich ist es eine Gewissens- und Glaubensfrage. Auch gläubige Männer leben im Zweifel, sie "haben" Gott nicht in der Tasche wie ein Handy, das man allezeit vorführen und bedienen kann. Gott ist ein Geheimnis, das sich allerdings von den Suchenden finden lässt bzw. sie sich von ihm.

Tatsache ist, dass Männer, die sich an Gott orientieren, das Gute suchen, das Gute tun und sich der Liebe, Solidarität und Versöhnung verpflichten. Daran führt kein Weg vorbei. Das heißt nicht zwingend, dass Atheisten keine liebevollen, gütigen und versöhnlichen Menschen seien. Für mich ist Gott da anwesend, wo die Güte und die Liebe wohnen, wo der Kreislauf des Hasses und wo die Spirale der Gleichgültigkeit unterbrochen und in großer Empathie und Toleranz zugunsten des (bedrohten und wachsenden) Lebens überwunden wird.

Ich stelle es mir anstrengend vor, nicht an Gott zu glauben, wo doch der Mensch hoffnungslos religiös ist. Ist es nicht sehr schwer und traurig, sich als Zufallsprodukt oder bloß als Abkömmling der Primaten zu sehen, keinen Gott zu haben, dem ich danken kann, den ich anklagen kann, dem ich mich herzlich verbunden weiß? Schränkt es meine Selbstständigkeit ein, wenn ich an einen liebenden, zärtlichen und doch so starken Gott glaube oder motiviert mich dies dahingehend, mich über meine Grenzen hinaus zu entwickeln?

Unserer Zeit fehlen gottestrunkene Männer wie König David, die ekstatisch vor ihm tanzen, die theopoetisch um sein Wort wirbeln, die ihn durch eine verrückte und außergewöhnliche Liebe in diese - oft so einfallslose - Welt hinein bezeugen.

Gibt es Gott? Gibt es ihn nicht? Gibt es ein Leben nach dem Tod? - Das sind grundlegende Fragen. Tatsächlich gibt es seit Urzeiten kein Volk auf dieser Erde, das für seine Toten nicht ein geheimnisvolles Weiterleben ersehnt hätte. Das beweisen u.a. steinzeitliche Hockergräber seit Jahrtausenden, wo die Verstorbenen schon in Embryonalstellung mit Grabbeigaben bestattet wurden.

Wie das Kommende sein wird, entzieht sich unserer Kenntnis. Ich glaube, dass es sein wird, dass wir in Christus auferstehen werden und dass diese Auferstehung nicht nur ein futuristisches Ereignis ist, sondern hier und heute schon erfahrbar wird. Wenn ich mich aus dem Staub meiner Angst und Lethargie erhebe, wenn ich auf einen Menschen zugehe, der mich verletzt und beleidigt hat, wenn ich jeden Tag einen Neuanfang wage, dann erstehe ich heute schon ein Stück weit von den Toten, dann ist die letzte Auferstehung im Leibe nicht mehr fern ...

 

Wie beurteilen Sie die momentane, weltweite politische Situation?

 

Foto: Christian Kuster

Im ersten Schöpfungsbericht der Bibel heißt es, dass Gott die Welt sehr gut geschaffen habe. Das ist das Ursprungsbild von Leben, welches leider vom Menschen so oft entstellt wird und wohin wir Männer uns hinorientieren müssen. Es ist schon da, aber wir sind angehalten, dieses schöne Bild der Erde neu zu entdecken, zu suchen, zu finden, zu bewahren und zu beschützen. Wir fokussieren uns sozusagen wie ein Fotograf auf das Schöne im Leben, wir vergessen es nicht und wir stellen es in eine gesunde Relation zu dem, was auch noch ist.

Das Leben auf Erden ist nicht fair, es ist oft ungerecht, die Kluft zwischen arm und reich ist groß, die Erde ist in zwei Hälften - reiche Industriestaaten und unterentwickelte Eine Welt-Staaten - gespalten. Vielen Menschen ist der Zugang zu ausreichender Ernährung, Frischwasser, Arbeit und Bildung nicht - oder zu unmenschlichen Bedingungen (Kinderarbeit) - möglich. Die Erde leidet an unserer Gier, die so viel Leben kaputt macht. Dieses Unrecht darf uns nicht kalt lassen, es schreit zum Himmel und fordert zur Tat heraus.

Die Welt ist genau so wie sie ist: gut, böse, gefährlich, bedroht, schön, anziehend ... War die politische Situation auf Erden jemals anders, etwa vor 70 oder vor 100 Jahren? Die Welt ist noch nicht das Reich Gottes. Es gab und gibt und wird immer gute und schlechte Männer geben: Männer, die die Welt aufbauen und andere, die sie zerstören. Ich muss mich als Mann entscheiden, wo ich hinwill und ich muss auch wissen, dass beide Anteile in mir leben: ein weißer und ein schwarzer "Wolf". Die Frage ist, wen ich füttere, den guten oder den bösen? "Umkehr" ist kein besonders beliebter Begriff, aber genau darum geht es: Ich bleibe als Mann nicht in meinem alten Trott stecken, ich gehe weiter, überdenke mein Leben, bereue meine Fehler, stehe dazu und fange wieder neu an. Ich gewinne u.a. Klarheit in der ernsthaften, täglichen Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift, im Austausch mit Menschen guten Willens ... Erich Kästner hat es gesagt: "Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es." Da ist etwas dran, wobei wir das Gute nicht neu erfinden müssen, es ist ja schon da, es ist verborgen und will entdeckt und von uns gelebt werden.

Mit dieser Frage nach dem Guten verbunden sind eben auch die Freunde, mit denen ich mich umgebe, die Bücher, die ich lese, die Hobbys, die ich pflege. Mit jedem Gedanken, mit jedem Satz, mit jeder - noch so kleinen - Tat entscheide ich darüber, ob ich die Welt zu einem freundlichen oder unfreundlichen Ort mache. Das macht Mut und macht aus uns frohe und politische Männer, welche sich nicht auf der Couch vergraben, sondern für ihre Überzeugung öffentlich eintreten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die politische Weltsituation zu einem beträchtlichen Teil auch in unseren Männer-Händen liegt. "I can change the world, make it a better place ... with my own two hands", singt Jack Johnson, der Surfer und Liederschreiber aus Hawai. Es stimmt einfach nicht, dass der Einzelne nichts ausrichten kann, das ist eine Lüge, eine Flucht vor der Verantwortung, eine Ausrede, die zwar die Stammtischrunden voller macht, aber darüber hinaus nichts Gutes bewegt.

 

Was kann uns Männern, Maria, die Mutter Jesu, sagen?

Kirche Kostbares Blut, Großkarolinenfeld, Foto: Christian Kuster

 

In der Frage liegt ja schon eine Antwort verborgen. Maria ist die Mutter Jesu. Jeder Mann hat eine Mutter, nicht jeder pflegt eine gute, gesunde Beziehung zu seiner Mutter. Nicht jeder bekommt die Anerkennung, die er als Mann verdient. Und doch möchte wohl jeder Mann von seiner Mutter angesehen, gesegnet und geschätzt werden. Maria vereint diese Eigenschaften in sich. Sie bildet die Superlative der Weiblichkeit und ist doch so verwundbar und muss doch so viel leiden. Der alte Simeon sagt es der jungen Mutter im Tempel von Jerusalem voraus: "Deine Seele wird ein Schwert durchdringen." (Lk 2, 35) Maria ist eine aus dem Volk, eine Einfache, eine Glaubende, eine Tatkräftige, eine Flüchtende, eine unter dem Kreuz Bleibende und vermutlich auch eine Witwe und dann eine von ihrem ermordeten Jesus verwaiste Mutter.

Sie steht für den erlösten Menschen, so, wie er von Gott gedacht ist, sie hat Ihm ihr Ja-Wort gegeben: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast." (Lk 1,38) Maria hat kein Jota ihres Versprechens an den Engel je zurückgenommen, sie hat ihr Wort gehalten, sie hat sich in den Willen Gottes unter schwierigsten Umständen hineingeliebt. Insofern kann sie auch uns heutigen Männern ein großes Vorbild sein, wenn es eben darum geht, zu seinem Wort zu stehen, dafür auch unter widrigsten Bedingungen einzustehen, daran festzuhalten und es eben auch zu leben.

Maria aus Nazaret sagt uns Männern, dass es klug ist, manches Erlebte im Herzen zu bewahren und nicht gleich bei jeder Gelegenheit unreflektiert und indiskret auszuplaudern (vgl. Lk 2,51). Sie steht dafür, dass es für uns Männer Sinn macht, der Frau grundsätzlich zu vertrauen, dass sehr viel Gutes in ihr steckt. Maria fordert uns Männer heraus, auch unsere eigene weibliche Seite zu entdecken und leben zu dürfen. Erst durch die Integration unserer Weiblichkeit, unserer weichen, mütterlichen, fürsorgenden und sensiblen Seite, werden wir zu ganzen Kerlen. Maria zeigt uns Männern auf, dass wir uns nicht mit allem, was ist, abfinden müssen, wir dürfen rebellieren und singen: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen!" (Lk 1,52) Dieser Schlüsselsatz aus lukanischer Feder ruht auf der Befreiungserfahrung des jüdischen Volkes aus dem Sklavenhaus Ägyptens, sie wiederholt sich täglich immer wieder und wird den Glaubenden zur Realität Fleisch gewordener Hoffnung, wie sie sich in Jesus, dem von Maria geborenen Christus, offenbart.

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